Aufgrund der derzeitigen bedrückenden Entwicklungen ist Demokratie stärker in den Fokus gerückt. Insbesondere in Krisenzeiten wie der globalen COVID-19-Pandemie, dem Ukraine Krieg, der Bildungs- und Klimakrise haben demokratische Prinzipien wie Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung an Bedeutung gewonnen.
Für diesen Artikel habe ich mich auf Fährtensuche begeben. Mein Ziel: Herausfinden wie Demokratie an einem eher undemokratischen Ort funktionieren kann. Der Schule.
IST SCHULE DEMOKRATISCH?
Hier sei gesagt, dass Schule „nach dem Wortlaut der Gesetze in Deutschland demokratisch sei.“ Doch „nicht überall wo Demokratie draufsteht, ist auch Demokratie drin.“, so die Bundeszentrale für politische Bildung.
Der Ursprung unseres Schulsystems liegt im 19. Jahrhundert. Obwohl Schule zu der Zeit ein wichtiger Schritt in Richtung Alphabetisierung und Bildung für alle war, hat sich die Gesellschaft seitdem grundlegend verändert, und das traditionelle Schulmodell entspricht nicht mehr vollständig den Anforderungen und Bedürfnissen unserer heutigen Zeit.
Und dennoch, so die bpb weiter:
„Das Kind ist der Schulpflicht und damit öffentlicher Erziehung und Bildung unterworfen; die Schule teilt Berufs- und damit Lebenschancen zu, indem sie Noten vergibt…Die Lerninhalte und -ziele sind gesetzlich vorgegeben…Die Lehrkräfte haben einen Erziehungsauftrag, dem viele von ihnen heute kaum mehr gerecht zu werden glauben. Selbst in der humansten Schule verwirklicht sich also in gewisser Weise ein Zwangsverhältnis, das dem Anspruch und den Möglichkeiten auf Selbst- und Mitbestimmung der Lernenden, der Eltern, aber auch der Lehrkräfte zuwiderlaufen kann“. Dieses Spannungsfeld ließe sich nicht vollständig auflösen, es könne jedoch durch demokratische Schulentwicklung besser austariert werden (1).
Loslassen und loslegen
Veränderung funktioniert nicht, wenn man am Altbewährten festhält.
Haben wir ja immer schon so geMACHT. MACHT der Gewohnheit. -> Das MACHT ohnMÄCHTIG.
Wenn das Festhalten am Gewohnten mehr Schmerzen verursacht als die Anstrengung, etwas zu verändern, dann ist es an der Zeit, etwas zu ändern.
Selbstverständlich tragen Eltern eine Mitverantwortung, sofern man sie lässt. Aber insbesondere die Schule (und damit sind alle Beteiligten gemeint) – als der Ort, an dem Kinder die meiste Zeit verbringen und der ein Mikrokosmos der Gesellschaft darstellt, sollte einen Raum bieten für junge Menschen, in dem sie altersgerecht und aktiv im demokratischen Sinne auf das Leben vorbereitet werden.
Viele Schulen haben sich bereits auf dem Weg gemacht und zeigen wie es funktionieren kann. Wir werden Stück für Stück in anderen Newsletterausgaben mehr dazu erzählen, euch zeigen, wie Schulen das Altbewährte loslassen und loslegen. Insgesamt brauchen wir Mut zur Veränderung und Zuversicht.
Wir wissen, dass Demokratie ein zu erlernender Prozess ist. Besser noch: Ein Prozess, der erlebt werden muss. Doch wie fängt man an? Meine Recherchen haben mich immer wieder zu einem Zauberwort geführt: Selbstwirksamkeit.
Selbstwirksamkeit ist ein entscheidender Grundstein der Demokratie.
Selbstwirksamkeit bezieht sich auf die Überzeugung, dass man Einfluss auf sein eigenes Leben und auf die Welt, um sich herum nehmen kann. In einer demokratischen Gesellschaft ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Handlungen und ihre Teilnahme am politischen Prozess einen Unterschied machen können. -> Aha! Selbstwirksamkeit macht uns Handlungsfähig. (2)
Das weiß auch die gemeinnützige Organisation „aula“, auf die ich in einem Artikel von „PSYCHOLOGIE HEUTE“ – „Demokratie keimt im Kleinen“ von August 2023 aufmerksam geworden bin. Darin stellt sich die Psychologin und Ex-Politikerin Marina Weisband die Frage „Was demokratiefähig macht?“ Und liefert dazu die Antwort: „Selbstwirksamkeit. In der Ukraine werde diese trotz des Krieges gelebt, hierzulande herrsche indes oft erlernte Hilflosigkeit“.
Marina Weisband gründete 2014 aula gGmbH, ein innovatives Beteiligungskonzept, das Jugendlichen aktive Mitbestimmung im Alltag ermöglicht. Mithilfe einer Online-Plattform und didaktischer Begleitung fördert aula demokratische Praktiken und Kompetenzen. In Kitas, Schulen und ausserhalb der Schule. Genaueres zum Beteiligungsprozess bei aula, könnt ihr HIER nachlesen.
Selbstwirksamkeit = Handlungsfähigkeit
In vielen Bildungseinrichtungen wird den Schüler:innen gesagt, was sie lernen müssen, wann sie es tun müssen und wie sie es tun müssen. Warum sie es tun, wissen die wenigsten. Es herrscht eine Atmosphäre der „erlernten Hilflosigkeit“, in der die Schüler:innen das Gefühl haben, dass ihre Stimmen und Ideen nicht zählen.
Diese Haltung manifestiert sich oft in Resignation und Frustration.
Da muss ich an ein Gedicht von Dr. Heinz Schirp denken, Professor für Neurowissenschaften und Lernen:
„Wenn ich nur darf, wenn ich soll aber nie kann, wenn ich will, dann mag ich auch nicht, wenn ich muss. Wenn ich aber darf, wenn ich will, dann mag ich auch, wenn ich soll. Und dann kann ich auch, wenn ich muss.“
Dieses Gedicht verdeutlicht in meinen Augen gut, dass das Gefühl der Selbstwirksamkeit entscheidend dafür ist, ob eine Person bereit ist, Herausforderungen anzupacken und in der Lage ist diese zu bewältigen. Selbstwirksamkeit macht handlungsfähig.
Demokratie in der Schule kann einen entscheidenden Beitrag leisten, wie Demokratie in Zukunft gelebt wird.
Das Konzept der Demokratie in der Schule, wie es aula gGmbH durchführt, ermöglicht es Schüler:innen, aktiv an Entscheidungsprozessen ihrer Schule teilzunehmen. Sie können Ideen einbringen, diskutieren und abstimmen, was zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit führt.
Durch diese Erfahrungen lernen die Schüler:innen, dass sie nicht machtlos sind, sondern dass ihre Handlungen tatsächlich Veränderungen bewirken können. Und auch, wenn nicht alle Veränderungen sich durchsetzen, so haben die Schüler:innen aber das Gefühl Ernst genommen zu werden, denn sie waren Teil des Entscheidungsprozesses. Partizipativ.
Eine weitere Organisation, die sich im kölner Raum für Demokratie, Mitbestimmung und Partizipation an Schulen einsetzt ist der Zukunftsrat Köln e.V., die wir am ¡Change School! Day in Köln kennen gelernt haben.
Gemeinsam mit GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften hat der Zukunftsrat Köln e.V eine aufschlussreiche Studie zur Mitbestimmung in der Schule vorgestellt, die ihr HIER nachlesen könnt.
Die Einführung demokratischer Praktiken in Schulen geht über die bloße Vermittlung von Wissen hinaus. Es geht darum, den Schüler:innen zu zeigen, dass sie Teil einer Gemeinschaft sind, in der ihre Meinungen und Ideen zählen. Dies stärkt ihr Selbstbewusstsein und fördert Verantwortungsbewusstsein sowie Respekt gegenüber anderen.
Demokratie in der Schule ist nicht nur wichtig für das Selbstwertgefühl der Schüler, sondern auch für die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft insgesamt.
Es ist dringend erforderlich, dass wir die Wichtigkeit demokratischer Entscheidungsprozesse in der schulischen Umgebung erkennen und sicherstellen, dass alle Schüler:innen über den bloßen Rahmen des „Klassenrats“ oder der „Schulsprecher:innenwahl“ hinaus die Gelegenheit erhalten, aktiv an den Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, teilzunehmen. Denn Demokratie bildet das Fundament für eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft, in der sämtliche Stimmen Gehör finden.
Auf diese Weise wird ihre Selbstwirksamkeit gestärkt und sie werden motiviert sein, sich auch in Zukunft aktiv an demokratischen Prozessen zu beteiligen und sich zukünftigen Herausforderungen zu stellen.
Ich würde hier gerne noch etwas zum Thema Zuhören schreiben, jedoch würde dies den Umfang eines leicht verdaulichen Artikels sprengen. Was Zuhören mit Demokratie verbindet, was Schule damit zu tun hat und das Zuhören nicht immer gleich Zuhören ist, könnt ihr in unserer nächsten Newsletterausgabe nachlesen.
Verfasst von Mélina Garibyan
QUELLEN: Mehr Informationen über aula gGmbH könnt ihr hier finden: https://www.aula.de/ Mehr Informationen über Zukunftsrat Köln e.V. könnt ihr hier finden: https://zukunftsrat.koeln Die Ausgabe 08/2023 von „Psychologie Heute“ mit dem Artikel „Demokratie keimt im Kleinen“ von Marina Weisband kann als Ebook/PDF HIER käuflich erworben werden. (1) https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/174626/demokraten-fallen-nicht-vom-himmel-wie-schule-zu-einem-demokratischen-zusammenleben-beitragen-kann/ (2) Konzept der Selbstwirksamkeit nach Bandura 1982, 1997; Gist/Mitchell 1992