Wie eine Schulprojektwoche den Glauben an die Macht kleiner Schritte stärkt.
Im Artikel vom Redaktionsnetzwerk Deutschland stellt Nora Oehmichen, Bundesvorsitzende der Initiative Teachers for Future fest:
„Das Wissen rund um die Klimakrise vergrößert sich, doch durch die Art, wie im System Schule gelernt wird, hat das kaum Auswirkungen auf die Handlungen der Lernenden.“
Sie nennt das das „Teaching to the test“-Prinzip, „letztendlich ist die Klimabildung etwas, was ich für die Klassenarbeit gelernt habe, was jedoch nicht handlungsrelevant ist“.
Das Deutsche Schulsystem ist noch nicht im 21. Jahrhundert angekommen
Diese immer lauter werdende Kritik war für uns unter anderem Anlass, um unser Projekt „Morgenmacher“ ins Leben zu rufen. Als wir mit unseren ersten Überlegungen starteten, um die Frage zu beantworten, was denn ein Schulsystem im 21. Jahrhundert braucht, waren uns vor allem vier Dinge wichtig:
- So viele Beteiligte wie möglich einzubinden (Lehrkräfte, Schüler:innen, Eltern, außerschulische Akteure…) und gleichzeitig zum Ausbau von Netzwerken beizutragen.
- Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als ganzheitliches Bildungskonzept im Rahmen der Schulentwicklung verstehen. Kompetenzen sollen aufgebaut werden, die junge Menschen zu zukunftsfähigem Denken und vor allem Handeln befähigen.
- Lebenswelten und Interessen der Schüler:innen als Chance betrachten, um intrinsisch motiviertes Lernen zu ermöglichen.
- Chancengleichheit im Sinne der 17 Nchhaltkeitsziele fördern und fordern.
Unser BNE-Projekt an der Igis Köln
Im Juni 2023 durften wir als ausserschulische Anbieter unser BNE-Projekt an der integrierten Gesamtschule in Köln ausrichten. Damit führten wir zum zweiten Mal das derzeit noch „Morgenmacher“ benannte Projekt durch, das nun zu IMAGINATIVES – Schüler:innen machen Zukunft wird. Jedes Projekt trägt zur Lernkurve bei und mit jedem Mal ergeben sich in der „Live-Testung“ neue Erkenntnisse, wie sich unser Beitrag zur Bildung im 21. Jahrhundert verbessern lässt.
Durch unsere Perspektive als Eltern aber auch unsere langjährige Arbeit als Dozentinnen, Agilitätscoaches, Facilitatorinnen und Prozessbegleiterinnen ergibt sich eine interessante Schnittstelle, die wir nutzen, um Brücken zu bauen und nicht etwa, um Wände einzureissen.
Im Rahmen der Projektwoche konnten die ca. 20 Kinder aus den Stufen 5-7 die 17 Nachhaltigkeitsziele anhand ihrer eigenen Interessen erkunden. Wichtig war uns vor allem dabei die Schüler:innen weder zu unter- noch zu überfordern und darauf zu achten, dass sie auch Spass empfinden. Wir holten uns immer wieder die Meinung der Schüler:innen ein, führten Gespräche mit den Eltern und Lehrkräften und holten uns Unterstützung durch ausserschulische Akteure aus Bildung und Schulentwicklung. In unserem zweiten Durchlauf des Projektes konnten wir so wichtige Kernaspekte von BNE in einem verbesserten Prototyp einfliessen lassen:
- Schüler:innen brauchen mehr Bezug zur realen Welt: Wir baten Andreas Klein seinen Verein Makuyuni vorzustellen, der in Tansania Schulen an schwer zugängliche Orten baut. Andreas erzählte den Schüler:innen, warum es für ihn wichtig war, dieses Problem anzugehen, was ihn dazu bewegt hat, sich zu engagieren, wie Kooperation auf Augenhöhe gelingt, wie der Verein zu Spenden kommt und was es alles braucht, um vor Ort den Bau von Schulen zu organisieren. Darüber hinaus konnten wir es den Schüler:innen ermöglichen, zwei Telefonjoker aus einem Industrieunternehmen und einem Architekturbüro zu kontaktieren, um sie bei ihren Fragen zum Thema Wasserstoffmobilität und nachhaltiges Bauen zu unterstützen. Das Telefongespräch bereiteten die Kinder mit unserer Hilfe vor. Dieser Perspektivwechsel war für sie von großer Bedeutung. Sie lernten nicht nur etwas über ihr gewähltes Problem. Sie lernten auch, welche Werte der Lösung eines bestimmten Problems zu Grunde liegen, und dass nicht immer die einfachste Antwort die richtige ist.
- Der Fokus auf personale und soziale Kompetenzen sollte weiter gestärkt werden: Als Grundvoraussetzung, um in Gruppenarbeit neue methodische Impulse aufnehmen und damit arbeiten zu können. Durch Rituale ermöglichten wir es den Schüler:innen, ihr soziales Miteinander zu stärken, sich persönlich mitzuteilen, noch offene Fragen zu klären und auch besser mit Frustrationen umzugehen. Dabei unterstützen sie sich gegenseitig, was die Teamfähigkeit förderte und jedem Kind das Gefühl gab, nicht alleine zu sein, gehört und ernst genommen zu werden. Zu Beginn und zum Ende eines jeden Projektwochentages boten wir den Kindern diesen Raum, um einen guten Start zu ermöglichen und einen Abschluss am Ende des Tages zu finden.
- Eine stärkere Problemorientierung und Vermittlung positiver Fehlerkultur. Von Albert Einstein stammen die Worte: “Wenn ich eine Stunde habe, um ein Problem zu lösen, dann beschäftige ich mich 55 Minuten mit dem Problem und 5 Minuten mit der Lösung.“ Oftmals wird im Unterricht zu schnell nach Lösungen gesucht. Hier war die Einladung, lange auf einem Problem zu kauen. Sie mussten Wege finden, um Meinungen und Perspektiven zuzulassen und sich einander zu reiben. Annahmen sichtbar zu machen und nicht voreilig eine Lösung aus der Hüfte zu schiessen ist eine Praxis aus dem Design Thinking, der Schüler:innen zu selbständiger Entscheidung befähigt und Forschen zur Freude macht. Sobald die Gruppe das Gefühl hatte, ein Problem ausreichend beleuchtet zu haben und an einem Strang zu ziehen, ging es in die Lösungssuche. Kritisches Denken und der positive Umgang mit Fehlern waren dabei genau so willkommen, wie jede noch so abwegige Idee. Anfängergeist, kreative Unvoreingenommenheit, Reichtum an Ideen sind wichtiger Treibstoff in unserem Projekt, den wir nach agilen Prinzipien durchführen. Schrittweise nähert man sich dadurch einer innovativen Lösung. Fehler sind uns dabei eine große Hilfe. Das müssen besonders Schüler:innen neu lernen.
Dennoch bleibt die individuelle Förderung für eine oder sogar zwei Personen allein in einem großen Klassenraum schwer umzusetzen. Wichtig und hilfreich war daher die punktuelle Unterstützung durch 3-4 weitere Hilfskräfte, um in 1:1 Gesprächen den persönlichen Belangen und Fragen der Kinder nachgehen zu können. Eines unserer ganz wichtigen Learnings aus diesem Projekt:
Die Kinder wollten gehört und ernst genommen werden. Sie drückten aus, dass sie sich proaktiv durch Schülerbeteiligungsformate an Themen wie Diversität an der Schule, Stadtentwicklungsprojekte und Kooperationen zum globalen Süden mehr beteiligen wollen.
Im Sinne eines Whole School Approaches wollen sie, dass diese Themen nicht nur bestenfalls in AGs behandelt, sondern zentrale Elemente des Schul- und Lernalltags werden. Man muss sich ausprobieren, den Lebenshorizont erweitern, in Berufsfelder und Lebenswelten hineinschnuppern, um herauszufinden, was einem Spaß macht, zu einem passt und was einen von Herzen motiviert.
Noch einmal zeigt sich hier: Verschiedene Lebenswelten zu verknüpfen stärkt Kinder darin, eine bessere Vorstellung davon zu haben, was sie selbst auch als Minderjährige bewirken können und was sie motiviert. Durch praxisorientiertes Lernen, kritischem Denken und der Auseinandersetzung mit realen Problemen werden sie befähigt, informierte Entscheidungen zu treffen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Zusammenhänge werden verdeutlicht und das Bewusstsein für die Bedürfnisse anderer Menschen und zukünftiger Generationen wird geschärft.
Welchen Impact das eigene Handeln haben kann erkannten die Kinder nicht zuletzt beim Projektfest, als sie ihre Artefakte sowie Kuchen verkauften und das eingenommene Geld dem Verein Makuyuni spenden durften.
Wir sind begeistert zu sehen, was die Kinder bewegt und was sie bereits alles bewegen können, wenn man sie lässt.